Hinter schwedischen Gardinen
von Christine Wagner (Berliner Morgenpost
1998)j
Hallo,
guter Kommunist: Zwei Stockholmer Genossen drehen
als IFA Wartburg die Zeit zurück:
Von Freunden lernen, heisst siegen lernen:
Jetzt, wo die letzten Versuche zu scheitern drohen,
den Sozialismus in Schweden doch noch erfolgreich zu
etablieren, greifen die lieben Nachbarn gern auf wertvolle
Erfahrungen aus der DDR zurück. Die treuen Stockholmer
Genossen Magnus Michaeli und Nils Lundwall fühlen
sich berufen, zusammengeschweisst im sozialistischen
Geist ein Grundsatzprogramm zur Rettung Schwedens zu
veröffentlichen. Im Dienste des Sozialismus
heisst es und wurde als CD und Picture Disc in limitierter
Auflage bei Plattenmeister veröffentlicht.
Bewährt in der Produktion als ausgezeichnetes Kollektiv der Arbeit, das sich den programmatischen Titel IFA Wartburg verlieh, beinhaltet es ein "Kraftpaket". Das hörbar auf Linie mit der russischen Popmusik liegende Werk soll nun auch in Deutschland die gesellschaftliche Veränderung ankurbeln. Die beiden Stockholmer, die kaum deutsch sprechen, kamen vor 14 Jahren zum Sozialismus wie die Jungfrau zum Kind.
Vielleicht impfte Grossvater Michaeli, der vor zig Jahren aus der DDR ins schwedische Exil auswanderte, seinen Enkel mit dem Sozialismus-Virus. Magnus fühlte sich verpflichtet, die vielen, zu Festtagen feierlich überreichten, DDR-Bücher wissenschaftlich zu studieren. Damit die konspirative Tätigkeit geheim blieb, schloss er sich mit seinem treuen Genossen Nils in einem in die Wand eingebauten Schrank ein, um Gesangsaufnahmen mit pathetischer Stimme sowie Posaune, Trompete und Klarinette aufzunehmen.
Als geheimer Treff dient eine 38-Quadratmeter-Wohnung, die mit einer ständigen Ausstellung von DDR-Symbolen, Plakaten und Auszeichnungen von der Sympathie zum sozialistischen Brudervolk kündet. Gekoppelt mit immer neuen strategischen Ideen, erarbeiteten die ernsthaft überzeugten Genossen ein Repertoire an Songs.
Doch nur eine Minderheit besass das Bewusstsein, die zwischen den Zeilen versteckte Botschaft zu entschlüsseln. Die kapitalistische schwedische Popindustrie zeigte kein Verständnis für die programmatischen Aufnahmen von IFA Wartburg. Durch Zufall lernte das sozialistische Kollektiv Achim Bogdahn vom Bayerischen Zündfunk kennen. Er vermittelte den Kontakt zu dem linken Lübecker Label Plattenmeister, dessen einstiges Label D.D.R. schon vor längerer Zeit Konkurs anmelden musste.
Nun probieren es die deutschen Freunde noch einmal, mit Songs wie Frau Gorbatschow tanzt Bossanova, Es ist nicht so schlimm auf der Krim oder Hallo, guter Kommunist die alten Zeiten mit neuem Zeitgeist zu beschwören. Um die propagandistische Wirkung zu vervielfältigen, will die Lübecker Tarnorganisation die Schweden unter den Decknamen Rolf Kempinski und Heinz Klinger Ende des Jahres zu Live-Statements nach Deutschland einschleusen.