geschichten:
Amok
"Ich sitze bei mir daheim im Wohnzimmer,
als ich von draussen den ersten Krach höre. Da
ich in einem Mietshaus wohne, ignoriere ich die Geräuschkulisse.
Aber es kommt mir schon SEHR laut vor.
Nachdem der Lärm nicht nachlässt,
beschliesse ich dem nachzugehen, und öffne meine
Haustür. Unten auf der Raiffeisenstrasse sehe ich
einen Opel, der gerade die vor unserem Haus geparkten
Autos rammt, und mit quietschenden Reifen davonfährt.
Mein Roller steht noch unversehrt da, also gehe ich
wieder hinein.
Eine halbe Stunde später fällt
mir auf, dass draussen weiterhin die Hölle los
ist. Irgend etwas scheint nicht zu stimmen. Ich hoffe
nur, dass mit meinem Roller alles in Ordnung ist.
Vor der Tür sehe ich, wie der Opel
aus der Untereckstrasse geschossen kommt, auf der linken
Strassenseite in einen weissen Golf fährt und diesen
mitsamt fünf weiteren Fahrzeugen vor sich herschiebt.
Ich versuche das Kennzeichen des Opels zu erkennen,
ich glaube er hat eine Lörracher Nummer mit einem
H und einer 1 am Anfang. Auf meinem Roller liegen zwei
Krücken und sechs Dosen, ich frage mich, wer sie
dort hingelegt haben könnte.
Als ich wieder in meine Wohnung gehe, bemerke
ich Frau H., sie steht vor meiner Tür und weint.
Sie sieht irgendwie seltsam aus.
- Er hat mir voll in die FRESSE gehauen.
Sie erklärt mir, dass der Opel-Fahrer
vor einigen Wochen beim Ausparken an ihrem oder dem
Auto ihres Schwiegersohnes eine Beule verursacht hat.
Nachdem sie ihm die Rechnung für die Reparatur
zugeschickt haben, ist er wohl sauer geworden.
Derweil kommt der Opel wieder zurück,
diesmal hat er es auf die Autos am rechten Strassenrand
abgesehen. In Anbetracht des bereits Geleisteten ist
der Opel noch recht gut in Schuss. Er ist wohl mit einem
T-Träger verstärkt, Thomas A. hat mir das
mal erklärt.
Ich werde hineingehen und bei der Polizei
anrufen. Obwohl ... meinem Roller ist ja nichts passiert,
und ich möchte den Opel-Fahrer nicht reizen.
Ich entscheide mich schliesslich doch für
den Anruf und überlege, ob es wohl schneller ginge
die 110 oder direkt auf dem Revier anzurufen. Ich schaue
im Telefonbuch nach. Ich wähle die Nummer, die
letzten Ziffern habe ich jedoch vergessen.
Es ist schwer, sich bei diesem Lärm zu konzentrieren,
und ich rauche erst einmal eine Zigarette. Dabei kommt
mir die Idee, doch die 110 anzurufen.
Ich stelle fest, dass die Leitung tot ist,
das Ganze war also PERFEKT geplant. Ich könnte
natürlich nach Unten gehen und mit meinem Roller
Hilfe holen. Aber wahrscheinlich ist der Typ auch noch
bewaffnet. Und bislang wurde mein Roller ja noch verschont."
Inzwischen wird mir das Ganze zu anstrengend.
Ich stehe auf und schreibe am Computer dies und das.
Ich bin selbst erstaunt, wie sehr ich meinen Roller
liebe. Obwohl er blau ist.
Als ich am nächsten Tag das Haus verlasse, ist
die Strasse vor unserem Haus wie leergefegt. Ich steige
auf meinen Roller und fahre zur Arbeit.