geschichten:
Fröhlich, nicht freundlich
Jetzt ist es passiert. Nach einer langen
Karriere als Nicht-Drogen-Konsument hat es mich also
doch erwischt. Im Geiste gehe ich die vielen Erlebnisse
durch, bei denen ich der Versuchung standgehalten habe.
Da waren die Haschisch-Runden in der Kälte des
Hebelparks, von denen ich mich durch meine starre Haltung
ausgeschlossen sah. Wie oft musste ich in Diskussionen
zurückstecken, weil ich bei Themen wie Politik
oder Mathematik wegen fehlender Bewusstseinserweiterung
nicht die nötige Fachkenntnis hatte. Auch das Glücksempfinden,
das einen nach dem Konsum von Engelsstaub durchläuft
und zu Höchstleistungen auf dem Gebiet der Autochirurgie
befähigt, kenne ich nur vom Hörensagen. Und
dann waren da die Techno-Wochenenden im WERK I, die
ich wegen fehlender Ekstase regelmässig durch einige
Stunden Schlaf unterbrechen musste.
Was WAREN das für ZEITEN!
Es muss so am 22. Dezember gewesen sein,
als ich schlecht gelaunt im PODIUM sass, und mich Joern
mit einem andauernden, sinnlosen und völlig unbgründeten
Grinsen auf die Palme brachte. Ich bin es nicht gewohnt,
dass meine Mitmenschen meine schlechte Laune ignorieren,
und überlegte mir die passenden Argumente, mit
denen ich Joern dies klarmachen könnte. Der entschuldigte
sich in aller Form und erklärte mir, dass er seine
gute Laune nicht abstellen könne.
- Das ist wegen dem Johanniskraut.
Obwohl ich an so einen Quatsch nicht glaube, hörte
ich mir geduldig an, dass Joern seit einigen Wochen
KNEIPP JOHANNISKRAUT 300 eingenommen, und dies bei ihm
zu unaufhaltsamer innerer und äusserer Fröhlichkeit
geführt habe.
- Da darfst du nicht mehr als NEUN Stück pro Tag
nehmen,
erklärte Joern geheimnisvoll, und Roland ergänzte
diese Information durch die Aussage, dass die Einnahme
von Johanniskraut erst nach drei Monaten zu Ergebnissen
führe. Am nächsten Tag musste ich ohnehin
zur DM-Drogerie und so schaute ich mich im Regal mit
den Naturprodukten nach dem Johanniskraut um. Tatsächlich
spürte ich beim Anblick der entsprechenden KNEIPP-Schachtel
eine leichte Belustigung, und so griff ich zu. Nachdem
ich, daheim angekommen, die ersten zwei Dragees eingenommen
hatte, musste ich doch herzhaft lachen, und mir fiel
auf, dass gerade dies der von Joern beschriebenen Wirkung
entsprach. Inzwischen bin ich abhängig, ein Leben
ohne Johanniskraut kann ich mir nicht mehr vorstellen.
Ich nehme zwei- bis dreimal täglich zwei von diesen
Gute-Laune-Pillen, vor besonderen Stresssituationen,
wie Familienfesten gönne ich mir eine Zusatzdosis.
Auch für unterwegs habe ich immer einige Dragees
dabei.
Gestern traf ich im 59ERS Sonja, die mich
herzlich begrüsste.
- Ich muss dir etwas zeigen. Schau mal, was ich bei
ALDI gefunden habe.
Dann holte sie aus ihrer Handtasche eine Pappschachtel
mit der Aufschrift ST. BENEDIKT JOHANNISKRAUT. Ich finde
es schön, dass man immer die Wahl hat, etwas auch
falsch richtig oder richtig falsch zu machen.